– Oder: Wie mein Nesthäkchen uns eiskalt abservierte

Es gibt so Momente im Leben, da weiß man, dass sich gerade etwas Großes verändert. So ein bisschen wie das erste graue Haar oder der Moment, in dem dein Kind sich das erste Mal selbst eine Banane schält und du realisierst: Es braucht dich nicht mehr.

Für mich war dieser Moment die Eingewöhnung unserer Tochter in die dänische Kita.

Ich habe das mit meinen Jungs schon durchgemacht. Und ja, das war damals schon schwer für mein Mama-Herz. Aber jetzt? Jetzt fühlte es sich an, als würde mir offiziell die letzte Baby-Identität entrissen.

Das Nesthäkchen. Das letzte Baby.

Ich wusste, dass dieser Tag kommen würde.

Ich wusste nur nicht, dass er so verdammt schnell kommt.

Warum ich die Eingewöhnung meinem Mann überließ (und trotzdem dran glauben musste)

Schon beim Vorgespräch merkte ich: Das wird nichts mit mir.

Die Bezugserzieherin – ein Engel in dänischem Strickpulli – strahlte uns herzlich an. Warm, mütterlich, völlig tiefenentspannt. So tiefenentspannt, dass ich kurz überlegte, ob sie heimlich Lavendel schnüffelt.

Dann erklärte sie uns den Ablauf der Eingewöhnung:

„Also, wir lassen die Kinder einfach machen. Mama oder Papa sitzen in der Ecke, dann gehen sie mal kurz raus, dann länger, und schwupps – Kita-Kind!“

Ich lächelte tapfer und nickte.

Innerlich schrie mein Hirn:

„SCHWUPPS?! WAS HEISST HIER SCHWUPPS?! DAS IST MEIN BABY!“

Ich blickte zu meiner Tochter.

Sie hatte sich längst zu einem Korb mit Holzklötzen robbend vorgearbeitet und ließ sie vergnügt auf den Boden plumpsen, als wäre sie schon seit Monaten hier.

Sie brauchte mich nicht.

Und ich wusste: Ich bin das Problem.

Also entschied ich, die Verantwortung an eine stärkere Person abzugeben.

„Schatz, das machst DU.“

Mein Mann, unser Fels in der Brandung, nickte.

Ein Mann, der selten große Emotionen zeigt.

Ein Mann, der mit harter Schale durchs Leben geht.

Ein Mann, der unser kleines Mädchen vermutlich mit einer lässigen Verabschiedung und einem Schulterklopfen in die Kita schicken würde.

Dachte ich.

Tag 1 – Wer braucht hier eigentlich Eingewöhnung?

Mein Mann saß mit Kaffee in der Ecke.

Unsere Tochter? Nahm ihr neues Königreich in Besitz.

Ich saß zu Hause, wippte unkontrolliert auf dem Stuhl hin und her und starrte auf mein Handy.

Warum schreibt er nicht? Hat sie geweint? Vermisst sie mich?

Dann eine Nachricht von meinem Mann:

„Sie spielt. Sie lacht. Sie guckt mich nicht mal an.“

Ich fühlte mich, als hätte mein Baby mich auf einem Bahnsteig stehen lassen, während es fröhlich mit dem Kita-Zug Richtung Unabhängigkeit davonfuhr.

Aber gut. Tag 1. Noch ist nichts verloren.

Tag 2 – Die kalte Abfuhr

Tag zwei begann harmlos.

Mein Mann betrat mit unserer Tochter die Kita.

Er setzte sie auf die Krabbelmatte, half ihr aus der Jacke.

Sie sah ihn kurz an.

Dann drehte sie sich um, krabbelte auf eine bunte Spielinsel zu und begann, ein Spielzeug intensiv zu untersuchen.

Die Bezugserzieherin lächelte sanft.

„Du kannst ruhig mal rausgehen, sie ist schon ganz vertieft.“

Mein Mann blinzelte.

Er schaute zu unserer Tochter.

Sie war in ihrem neuen Universum verschwunden.

Ohne ein weiteres Wort. Ohne ein Zurückblicken.

Mein sonst so unerschütterlicher Mann stand auf dem Kita-Flur. Allein.

Er nahm sein Handy und schrieb mir:

„Ich glaube, sie hat mich rausgeschmissen.“

Ich saß gerade mit einem Tee auf dem Sofa (zum ersten Mal in gefühlten 100 Jahren ohne ein Kind auf meinem Schoß) und musste laut lachen.

„Willkommen im Club.“

Tag 3 – Die Träne, die keiner von uns kommen sah

An Tag drei brachte mein Mann unsere Tochter in die Kita.

Ich ging mit, um mir das Spektakel live anzusehen.

Er setzte sie auf die Spielmatte.

Sie sah sich um, entdeckte ein Spielzeug, das ihr gefiel, und krabbelte los.

Keine Umarmung.

Kein Zögern.

Kein „Mama, bleib doch noch ein bisschen“.

Nichts.

Die Erzieherin sah uns an, lächelte und sagte freundlich:

„Ihr könnt jetzt nach Hause gehen.“

Ich spürte, wie sich mein Hals zusammenzog.

Ich drehte mich zu meinem Mann.

Er atmete tief durch.

Dann – aus dem Nichts – eine Träne.

Er, der harte Kerl.

Er, der immer sagt „Ach, ist doch kein Ding.“

Er, der selten Emotionen zeigt.

Er hatte gerade realisiert, dass sein kleines Mädchen ihn nicht mehr brauchte.

Ich griff seine Hand.

Er griff meine.

Wir standen da, auf dem Kita-Parkplatz, und teilten einen stillen Moment.

Es war nicht das Ende der Welt.

Aber es war das Ende einer Ära.

Die große Erkenntnis

Ich dachte immer, dass Kita-Eingewöhnung bedeutet, dass das Kind lernen muss, ohne Mama und Papa zu sein.

Aber eigentlich ist es genau andersherum.

Wir Eltern müssen lernen, loszulassen.

Wir müssen akzeptieren, dass unsere Kinder jeden Tag ein kleines bisschen weniger von uns brauchen.

Und das ist gut so.

Unsere Tochter hatte es verstanden.

Jetzt mussten wir es auch.

Also gingen wir nach Hause.

Mit einem leeren Kindersitz im Auto.

Mit einem leeren Haus.

Aber mit einem vollen Herzen.

Und einer neuen Erkenntnis:

Wir haben einen großartigen Job gemacht.

(…und wir werden diese leeren Hände in Zukunft einfach mit noch mehr Kaffee und dänischem Kuchen füllen.)


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